Predigtblog
Hier lesen Sie Woche für Woche zu jedem Sonntag einen Predigt-Blog.
Lesen Sie hier den Predigttext:
Römer 12, 9-16
Nicht weniger als 20 Ermahnungen lesen wir da.
Unmöglich, das zu schaffen! Und wenn man es eh nicht schafft, dann kann man doch genauso gut die Ermahnungen Ermahnungen sein lassen und tun, was man will, und vor allem auch das, was man kann, wozu man imstande ist, oder?
Ein Linkshänder kann nicht einfach mit rechts schreiben. Ein unsportlicher Mensch kann trotz großer Mühen keine Höchstleistungen bringen. Noch schwerer ist es, ein Verhalten auf eine bloße Aufforderung hin zu ändern. Befohlene Liebe bleibt heuchlerisch; befohlene Geschwisterlichkeit bleibt aufgesetzt; befohlene Hoffnung bleibt brüchig; befohlene Gebete bleiben Geplapper, wenn sie nicht auch von innen kommen.
Die Frage ist also, wie kann so eine Ermahnung, die ja im Alltag oft zum einen Ohr rein und zum anderen heraus geht, das Herz erreichen, so dass sie zur eigenen Überzeugung wird. Wie bringt man jemanden dazu, anzunehmen, was gut für ihn und gut für andere ist, auch wenn keine Einsicht da ist? Wie kann das gehen?
Wie kann man einen Esel, der keinen Durst hat, trotzdem zum Trinken bewegen? Soll man es mit dem Stock versuchen? Ein Esel ist aus härterem Holz als unser Stock. Außerdem, wer wird heutzutage zu einer solch autoritären Maßnahme greifen?Soll man ih m Salz zu schlucken geben? Das wäre Tierquälerei.
Die Lösung ist: man muss einen durstigen Esel herbeischaffen, der ausgiebig, mit großem Genuss und Behagen an der Seite seines Artgenossen aus dem Eimer trinkt. Einfach weil er Durst hat, einen großen, unstillbaren Durst! Das wird seinen Kollegen nicht unbeeindruckt lassen. Die Lust wird ihn ankommen, sich zum Eimer zu neigen und in tiefem Zug das erfrischende Wasser zu schlürfen.
Nichts ist wirkungsvoller, nichts ist ermutigender als das Vorbild. Den pädagogischen Fachkräften in Kindergärten und Schulen oder sonstwo und erfahrenen Eltern sage ich da nichts Neues. In ihrer tagtäglichen Bemühung um Erziehung gehört das zu den Urregeln. Das gute Vorbild ist die beste Erziehung.
Das umgekehrte gilt aber auch: ein schlechtes Vorbild erzieht auch, und die langfristigen Folgen sind nicht abzusehen. Darum war ich auch so entsetzt über die Wiederwahl von Donald Trump. Jeden einzelnen Trump-Wähler möchte ich fragen: Willst du dieses Vorbild für deine Kinder? Die Lüge als Vorbild? Die Selbstsucht als Vorbild? Die Selbstverliebtheit als Vorbild?
Wir müssen auf die guten Vorbilder schauen. Es gibt sie ja auch. Wir feiern sie auch in unserer Kirche. 5 Tage, nachdem dieser Trump gewählt wurde, haben wir hier in der Kirche den Sankt Martins-Gottesdienst gefeiert. Sankt Martin ist Vorbild – für Aufmerksamkeit und Achtsamkeit: er hat den frierenden Bettler gesehen. Er ist Vorbild für Barmherzigkeit: Die Not bewegte sein Herz. Er ist Vorbild für das Teilen. Der geteilte Mantel nützt beiden.
Vorbilder wirken. Garantien gibt es keine. Aber weil ich Hoffnung in einen Menschen, in ein Kind setze, werde ich sagen, tun und ihm vorleben all das, was nach meiner Einsicht gut für ihn ist, und hoffe, dass es irgendwann auch seine Einsicht wird. Es sind gerade die Hoffnungen, die ein anderer in einen setzt, die einen beflügeln, die einen Mut und Energie finden lassen.
Umgekehrt brauchen wir immer wieder andere, die ihre Hoffnung in uns setzen. Und wenn es andere nicht tun, Gott tut es. Gott gibt uns nicht auf. Gott setzt weiterhin seine Hoffnung in uns, auch wenn wir ihn enttäuschen, auch wenn wir es wieder einmal nicht schaffen, gute Vorsätze einzuhalten, auch wenn die Ermahnungen mal wieder zum einem Ohr rein und zum anderen raus gingen. Es ist die Hoffnung, dass nichts uns niemand uns von Gott trennen kann. Das hat Paulus in seinem Brief an die Römer wenige Zeilen vor unserem Predigttext wie ein Fundament für seine Reihe an Ermahnung formuliert:
Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Pfarrer Martin Anefeld