Karfreitag 2025

Jesus Christus gibt sich selbst

Kokoschka xmas

Eine Zeichnung. Schnell dahingeworfen. Mit unruhigen, zittrigen Strichen. Als ob es nur ein Entwurf wäre. Als übe einer noch. Irgendwie unfertig. Da fehlt noch etwas, das muss besser ausgestaltet werden.

Es ist ein Kreuzigungsbild. Ein Kruzifix nennen wir dies. Zu deutsch: am Kreuz befestigt, am Kreuz fixiert, Kruzifix.

Aber das ist diese Darstellung doch gerade nicht. Christus ist nicht fixiert am Kreuz, er bleibt nicht angeheftet. Er neigt sich den Menschen unter dem Kreuz zu. Der muskulös gezeichnete Christus beugt sich in dramatisch ausholender Gestik vom Kreuz, an dessen Balken die linke Hand festgenagelt ist.

Die Menschen unter dem Kreuz: Wer sind sie? Sie blicken teils zu Christus auf, teils apathisch ins Leere. Die Aufschrift auf dem Kreuz gibt uns den Hinweis: INRI steht dort, wie auf jedem Kreuz. Und dann in englischer Sprache: „In memory of the Children of Europe who have to die of cold and hunger this chrismas“ zu deutsch: Im Gedenken an die Kinder Europas, die dieses Weihnachten an Kälte und Hunger sterben mussten.“

Nun werden die Gestalten unter dem Kreuz erkennbar. Es sind die Gesichter dieser Kinder, die da hinaufschauen zum Kreuz.

Dies ist keine Kritzelei. Einfach so schnell aufs Papier geworfen. Dieses Bild ist eine der eindrücklichsten Christusdarstellungen, die ich kenne. Geschaffen hat sie der Künstler Oskar Kokoschka im Jahr 1946 direkt nach dem Krieg. In der Zeit um Weihnachten ist es entstanden. 5000 Exemplare dieses Bilder hat Kokoschka drucken lassen, und er hat sie in den Stationen der Londoner U-Bahn aufgehängt. Gehört da das Kreuz nicht viel eher hin als auf Berggipfel und einsame Waldwege: mitten ins Leben, dort, wo Menschen leben und leiden.

Wo müsste es dieser Tage hängen, was müsste dieser Tage darauf stehen? „In memory of the children, women and men who have to die in the war acts in Kiew, in Gaza and Israel ans Sudan“ „In memory of the children of africa and the middle east who have to die in the water of the mediterranean sea.“ In Erinnerung an die Kinder, die ausgehungert werden oder die zerfetzt werden durch Granaten und Fassbomben, oder die in die Wüste geschickt ohne Nahrung und Wasser. Oder: in Erinnerung an die Kinder, die deshalb fliehen, nur weg, dorthin, wo sie sich sicher glauben, und dann vor Stacheldraht stehen, nein: die dürfen hier nicht rein, nein: die wollen wir nicht haben.

Eine der eindrücklichsten Kreuzesdarstellungen. Warum? Auf keinem anderen Kreuzesbild finde ich den Gedanken so deutlich wieder: Christus ist derjenige, der gibt. Auch am Kreuz. Oder erst recht da.

Und wir sind Empfangende. Seine Gabe ist er selbst. Er gibt sich sci selbst. Kokoschka hat das in befremdlicher Weise gezeigt: es hat den Anschein, als ob Christus seine rechte Hand den Kindern zur Speise reicht. Christus bietet den hungernden Kindern seinen Arm. Das ist der Kern der christlichen Botschaft: Gott gibt sich selbst, Gott opfert sich selbst auf für die Menschen.

Als Christus gekreuzigt ist, so berichten die Evangelien, fordern ihn die Menschen unter dem Kreuz auf: „Steig herab vom Kreuz!“ Höhnisch ist das gemeint. Oder vielleicht sogar ernst: „Steig herab vom Kreuz, damit wir sehen und glauben.“ Und einer von denen, die mit ihm gekreuzigt wurden, ruft: „Hilf dir selbst und uns!“

Dieser alte Wunsch – zwischen Spott und Sehnsucht – scheint auf Kokoschkas Bild Gestalt zu werden. „Steig herab. Hilf dir selbst und uns.“

Spott der Lästerer: „Er kann es nicht. Er ist zu schwach. Gott lässt ihn hängen. Gott wird auch uns hängen lassen. Wir müssen uns selber helfen.“

Sehnsucht der Christen: „Christus, sei du doch auch heute mächtig unter uns. Greife ein in unsere Zeit, in unsere Welt, in unsere Not.“

Christus ist am Kreuz. Und doch reicht er hinein in unsere Welt. Gott lässt ihn nicht hängen am Kreuz, Gott lässt die Menschen unterm Kreuz nicht hängen. Er gibt sich ihnen, dient ihnen, gibt sein Leben zur Erlösung für viele, damit viele leben können.

Er tut es auf vielfache Weise: im Abendmahl wird sinnenfällig, wie Christus sich uns gibt. Wir sehen und schmecken, wie freundlich er ist. Er gibt sich uns in Brot und Wein, und wir, die wir hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, die wir verlangen nach Leben, nehmen ihn hin, nehmen ihn auf als Speise und Stärkung für unseren Glauben, für unsere Hoffnung, für unsere Gemeinschaft. Das feiern wir heute.

Aber Christus wirkt auch noch auf andere Weise als der, der in die Welt hineinreicht – er wirkt durch uns. „Gleichwie mich mein Vater gesandt hat, so sende ich euch“. So hat er seinen Jüngern gesagt und sie mit der Kraft des Heiligen Geistes ausgestattet. Geschickte Menschen sind wir, geschickt, befähigt und gesandt durch Christus selbst, in Bewegung gebracht, vorwärts getrieben und getragen durch den Geisteshauch, den er uns gibt wie einen kraftvollen Rückenwind - weil er es uns zutraut und aufträgt, seine geschickten Gesandten zu sein.

Wir sind der verlängerte Arm des Gekreuzigten. Dadurch greift Christus in unsere Welt ein.

Das ist unbequem. Manch einem wäre lieber, Christus bliebe dort am Kreuz, und wurde sich nicht einmischen in unser Leben. So aber müssen wir sie sehen die Menschen, die Gesichter, die ein schweres Kreuz tragen und die erwartungsvoll zum Kreuz schauen. Wir sehen sie jeden Abend in den Nachrichten, wir sehen sie auf der Straße, in der Nachbarschaft, wir sehen sie in unseren Familien.

Auch darum feiern wir das Abendmahl. Christus gibt sich uns, lässt sich von uns nehmen, auf dass wir gestärkt werden zum Dienst. Er bedient sich unserer Hände, um heute zu dienen und Menschen zu befreien. Amen.

Pfr. Martin Anefeld
Abbildung: Fondation Oskar Kokoschka / Artists Rights Society (ARS), New York / ProLitteris, Zürich

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.