In Gottes Hand
Hier finden Sie den Predigttext:
Johannes 18,28-19,5
Judika heißt dieser Sonntag im Kirchenjahr. Zu deutsch: Schaffe mit Recht! Es gibt ein altes römisches Sprichwort, das heute noch benutzt wird: „Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand.“ Gemeint ist: auf hoher See und vor Gericht ist man ausgeliefert: den Elementen von Wind und Wasser auf See oder vor Gericht der Entscheidung des Richters. Da – auf See und vor Gericht – habe ich demütig zu sein, da habe ich mein Schicksal nicht mehr in der eigenen Hand.
Der Evangelist Johannes berichtet vom Protzes gegen Jesus. Der Prozess ist nicht fair, nicht offen. Alles scheint willkürlich, sinnlos, nutzlos.
Dabei geht alles erst einmal seinen geregelten Gang. Der Hohepriester Kaiphas, der im nächtlichen Verhör vor dem jüdischen Hohen Rat Jesus zum Tode verurteilt hat, wendet sich an den römischen Statthalter Pilatus. Seit die Römer das Land besetzt haben, hat er das alleinige Recht, Todesurteile vollstrecken zu lassen. Also schaffen sie Jesus gleich früh am Morgen vor das Prätorium, dem Arbeitsplatz von Pilatus.
Es ist schwer, diese Person zu ergründen: Pontius Pilatus. Immerhin hat er es bis in das Glaubensbekenntnis der Christenheit geschafft. Aber war er ein Wichtigtuer? Oder ein Angsthase? War er ein aalglatter Machtpolitiker oder jemand, der möglichst wenig Unruhe haben wollte, oder war er womöglich ernsthaft interessiert an Jesus? Wollte seinen womöglich Tod verhindern?
Jedenfalls scheint es, dass er der Sache selbst auf den Grund gehen will. Er verhört Jesus selbst: „Bist du der Juden König?“ Und es entsteht ein Wortwechsel, bei dem die beiden aneinander vorbei reden. Man möchte fast dazwischenfahren und erklären und richtigstellen. So aber geht es unausweichlich der Katastrophe entgegen.
„Bist du der Juden König?“
„Mein Reich ist nicht von dieser Welt.“
“Dann bist du also ein König?“
„Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge.“
„Was ist Wahrheit?“
Vielleicht will Pilatus Jesus wirklich verstehen. Aber wir merken: Er versteht überhaupt nichts. Weder die merkwürdige Anklage derer, die Jesus zu ihm gebracht haben, noch das, was Jesus sagt. Ist er jetzt ein König oder nicht? Wo ist sein Reich? Hier oder woanders? Was ist das für eine Wahrheit, von der er redet?
Immerhin steht für Pilatus erst einmal fest, dass dieser Jesus vielleicht etwas wirrköpfig ist, aber unschuldig im Sinne der vorgebrachten Anklage. Dreimal betont er das: „Ich finde keine Schuld an ihm.“
Immerhin versucht er, sich für Jesus einzusetzen, ihn freizubekommen oder wenigstens sein Leben zu retten. Doch das ist gar nicht so einfach. Einerseits ist es Jesus selbst, der offenbar nicht gewillt ist, für sich und sein Leben zu kämpfen. Andererseits machen die Ankläger Schwierigkeiten. Die wollen Blut sehen. Und zwar Jesu Blut. Lieber einen Räuber, einen Mörder freilassen, als Jesu.
Es bleibt offen, ob er Barabbas tatsächlich auf freien Fuß setzen ließ. Aber in jedem Fall bleibt Pilatus bei seinem Urteil: Jesus ist unschuldig. Aber: der Erhalt von Ruhe und Ordnung sind ihm wichtiger als sein Urteil. Sein Interesse an Jesus, war kein Mitgefühl. Das wird nun klar. Vor diesem Gericht herrscht nicht Recht, sondern Willkür.
Eiskalt ist Pilatus. Jemanden geißeln lassen, ist furchtbar. Das ist schmerzhaft und blutig. Nicht wenige sind auf dem Weg zum Kreuz bereits an den Folgen der Geißelung gestorben.
Zu den Schmerzen kommt der Spott. Die Soldaten legen ihm einen roten Mantel an. Darauf werden sie nicht selbst gekommen sein. Es war doch Pilatus, der sich mit Jesus darüber unterhalten hat. Er will König sein? Bitteschön! Und noch eine Dornenkrone auf seinen Kopf. Schön festdrücken, dass sie sitzt. Und sie verhöhnen Jesus. Und Pilatus steht dabei. Er versteht nichts von dem, was da vor sich geht. Er versteht sich nur darauf, das, was er für sein Recht hält, durchzusetzen.
Ein letztes Mal stellt er Jesus vor die Menge. Geschlagen und verletzt, erniedrigt und geschändet, lächerlich gemacht und verspottet: „Seht, welch ein Mensch!“
Rätselhaft. Was will er sagen? „Seht, das ist kein König, nur ein gewöhnlicher Mensch. Der hat keine Macht, keine Heerscharen, die ihm folgen und freischlagen.“ Oder will er an die Mitmenschlichkeit appellieren. Hofft er, dass die Menge Mitleid empfindet und der Unschuldige gerettet wird. Oder wird Pilatus unfreiwilligerweise zu einem, der das Geheimnis Jesu Christi bezeugt: Gottes Sohn, als Mensch zur Welt gekommen und nun auch im Leiden, auf dem Weg zum Tod ganz Mensch.
Wir wissen es nicht. Wir sehen nur: in diesem Prozess hatte Jesus nie eine Chance. Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand.
Schaffe mir Recht! Erinnern wir uns an den Namen des heutigen Sonntags. Ich frage mich, ob in ganz anderer Weise Recht geschaffen wird. Ob es nicht recht und richtig ist, was hier geschieht.
Musste nicht alles so kommen? Ist das nicht Gottes Plan mit uns Menschen, mit der Welt, dass dieser eine Mensch Jesus, Gottes Sohn, sich für uns und alle Welt dahingibt? War Pilatus auf diese Weise nichts anderes als ein Werkzeug Gottes, zweispältig, verschlagen, machtbewusst, kalt, grausam – aber eben doch nur ein Werkzeug?
„Vor Gericht sind wir in Gottes Hand.“ Das bekommt jetzt einen ganz anderen Sinn. Ja, genau. In Gottes Hand, das war Jesus die ganze Zeit. Jesus ist zu keinem Zeitpunkt ausgeliefert und schutzlos. Jesus liefert sich selbst aus. Er geht den Weg, den sein Vater für ihn bestimmt hat. Ohne zu zögern. Ohne zu klagen. Ohne Gegenwehr. Ohne Verteidigung. Wie ein König. Mit Würde und Macht.
Hier geht es nicht darum, Jesus zu retten und ihm Recht zu verschaffen in einem fairen Prozess. Es geht um Gottes Plan. Gott gibt bewusst den eigenen Sohn preis, „auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewigen Leben haben.“ (Joh 3,16). Es geht um dich und um mich. Jesus geht diesen Weg, um mich zu retten, um mir Recht zu verschaffen, damit es mit mir recht und richtig ist.
Spätestens hier bin ich wie Pilatus. Eigentlich kapiere ich gar nichts. Das ist nicht zu begreifen und zu verstehen. Das übersteigt den Horizont, im wahrsten Sinne des Wortes. Da kommt ein ganz anderer Horizont in den Blick, als das was ich überschaue. Es bleibt ein Mysterium, ein Geheimnis.
Nur eins weiß ich aus dieser Geschichte von einem unfairen Prozess, wo man eingreifen will, weil alles so falsch läuft, wo man verzweifelt ob der Ungerechtigkeit und Grausamkeit. Ich weiß: ich bin und bleibe in Gottes Hand – auf hoher See, vor Gericht, in meinem ganzen Leben. Amen.