Predigtblog
Hier lesen Sie Woche für Woche zu jedem Sonntag einen Predigt-Blog.
Die Bibel.
Was ist das für ein Buch, das eigentlich gar kein Buch, sondern eine Sammlung von Büchern ist, eine ganze Bibliothek in zwei Abteilungen: 39 Bände in der einen und 27 in der anderen?
Was ist das für ein Buch, das zwischen der ersten und der letzten Seite Geschichten vom Leben erzählt und auch Geschichten vom Sterben, Geschichten vom Suchen und vom Finden, von Liebe und Leid?
Was ist das für ein Buch, das in einem Zeitraum von mehr als 1000 Jahren entstanden ist, an dem ungezählte Autoren mitgeschrieben haben: bekannte und unbekannte, Geschichtenschreiber und Dichter, Realisten und Träumer?
Was ist das für ein Buch, das Juden und Christen als Anhänger einer „Buchreligion” erkannbar macht, ja, das selbst Geschichte geschrieben hat wie kein anderes, aus das in jedem Gottesdienst gelesen wird, bei jeder Taufe, bei jeder Hochzeit, bei jeder Trauerfeier?
Was ist das für ein Buch, das mit jenem Anfang beginnt, als Gott Himmel und Erde schuf, als der Schöpfer das Licht werden ließ, es „Tag” nannte und die Finsternis „Nacht” - und das von einem Ende dieser Welt weiß, da keine Nacht mehr sein wird?
Was ist das für ein Buch, das als Klassiker der Weltliteratur gilt, als der Bestseller der Literaturgeschichte schlechthin, das in nahezu alle Sprachen der Welt übersetzt worden ist und in ungezählten Ausgaben zu haben ist - mit Goldschnitt in rotem Ziegenleder gebunden wie unsere Altarbibel und als Jeans-Edition, in Blindenschrift und als Kinderbuch, in Übergröße und als Senfkornbibel?
Was ist das für ein Buch, das in den ärmeren Erdteilen heute immer mehr, in den reicheren dagegen immer weniger gelesen wird, und hier zu Lande eher von Frauen als von Männern, eher von Kindern als von Erwachsenen, eher von Kranken als von Gesunden?
Was ist das für ein Buch, dem seine Kritiker vorhalten, es sei „von gestern”, total überholt und weltfremd, in weiten Teilen gar blutrünstig und unmenschlich, während andere gerade in ihm den Frieden finden, Leben und Glück, Weisheit und Wahrheit?
Was ist das für ein Buch, das weniger Wissen vermitteln will, als vielmehr Erfahrung, weniger Recht als vielmehr Gnade, weniger Schuld als vielmehr Liebe; das weniger Vergangenes meint als vielmehr auf die Gegenwart zielt, das aus Begeisterung entstand und heute begeistern will?
Was ist das für ein Buch, das den Anspruch erhebt, Wort Gottes zu sein, und das dennoch einen Menschen in den Mittelpunkt rückt, Jesus von Nazareth - Menschenwort in Gottesmund, Gotteswort in Menschenmund?
Was ist das für ein Buch?
Martin Luther sagt: „Die heilige Schrift ist ein Kräutlein; je mehr du es reibst, desto mehr duftet es.”
Man muss die Bibel reiben. Man muss sich an ihr reiben. Man muss das wieder und wieder tun. Dann entfaltet sie ihre Kraft. Wenn man sie einfach in der Hand behält, dann passiert nichts – wie bei einem Kräutlein, bei einem Gewürz. Man muss etwas damit anstellen, man muss es mögen, man muss es dabei haben wollen, damit es auch wirklich würzt. Aber dann entfaltet es seine Wirkung, dann wird es richtig gut. So wird Lesewort zu Lebewort.
Pfarrer Martin Anefeld