Letzter Sonntag nach Epiphanias 2025

Von heiligen Orten und Texten

Hier finden Sie den Predigttext:
2. Mose 3,1-15

Ich muss Ihnen eine Geschichte erzählen. Nein, keine Geschichte, ein Erlebnis, das mich tief beeindruckt hat. Vielleicht hat es mich und meine Sicht auf die Welt und den Glauben sogar geprägt.

Es war in meiner Studienzeit. Da ist man viel mit dem Kopf beschäftigt, lernt Sprachen, paukt Vokabeln, studiert die historische Wissenschaft, betreibt Philosophie... Alles in allem ist das Theologiestudium keine Glaubensveranstaltung, sondern nüchterne, rationale Arbeit. Der Glaube kommt darin nicht vor.

Es war also in meiner Studienzeit. Da wurde eine Studienreise angeboten: 2 Wochen zu ägyptischen Wüstenklöstern und anschließend 4 Wochen ins Heilige Land. Das stand da: „Heiliges Land.“ Das gibt‘s doch gar nicht, ein „Heiliges Land“, dachte ich in meinem Vernunftdenken. Die meinen Israel. Aber gut, da will ich hin. Und ich fuhr mit.

2 Wochen lang reisten wir durch die ägyptische Wüste zu uralten Wüstenklöstern, zum Teil halb in meterhohem Sand versunken. Tief beeindruckend. Dann ging es Richtung Israel. Und wie das Volk Israel zu Zeiten des Mose mussten auch wir von Ägypten kommend durch die Halbinsel Sinai fahren.

„Dort besuchen wir das Katharinenkloster“, sagte unser Professor. Nun gut. Das 8. Kloster. Wir werden sehen. Auf in den Sinai.

Wenn es stimmt, was vom Auszug der Israeliten erzählt wird, dann haben diese auch gesehen, was ich auf der Fahrt gesehen habe – mit immer größer werdenden Augen. Nach dem vielen Sand nun Berge, felsige Berge, bunte Berge, richtige bunte Berge aus buntem Gestein, Klippen, Abhänge. Und in den Tälern immer wieder Palmoasen.

Dann, nach einer Straßenwindung sehen wir es: das Katharinenkloster, am Ende eines Tales liegt an an den Berg geschmiegt. Ein Viereck von 70 auf 70 Meter. Umgeben von einer 10 Meter hohen Mauer.

Ein phantastischer Anblick. Als Studienreisende durften wir hinein – durch eine winzige Tür in der Mauer. Das war morgens früh um halb 5. Ein Mönch gab uns noch strenge Verhaltensregeln mit. Z.B. niemals Füße oder Beine überkreuzen. Dann in die Kirche zum Gottesdienst der Mönche.

Es verschlug mir den Atem. Nicht wegen des üppig geschwenkten Weihrauchs, sondern wegen der Pracht der Kirche. Vor 1600 Jahren gebaut, seit damals unverändert, nie zerstört, seit damals ununterbrochen als Gebetsraum genutzt, wertvolle Kandelaber von der Decke, vorne die Bilderwand, über und über mit kostbaren Ikonen bedeckt und darüber wundervolle goldene Mosaiken.

4 Stunden dauerte der Gottesdienst. Dann eine Führung durchs Kloster. „Wir kommen jetzt zum Höhepunkt unserer Reise“ flüsterte unser Professor. Es ging außen um die Kirche herum zu einer Kapelle hinter den Chorraum. Dort blieben wir stehen vor einer, wie ich meinte, recht mitgenommenen Brombeerhecke. „Das ist“, erklärte uns der Mönch, „der Dornbusch, in dem sich der Herr dem Mose offenbarte.“

Wir schauten uns an. Kann doch gar nicht sein. Das soll der brennende Dornbusch sein? Erstens ist die Erzählung in der Bibel doch wohl Legende, zweitens – wenn es wahr wäre – müsste diese Hecke doch an die 3000 Jahre alt sein. „Bitte ziehen Sie Ihre Schuhe aus, denn der Ort, worauf Sie stehen, ist heiliges Land!“ Nirgends sonst müsst ihr die Schuhe ausziehen in der orthodoxen Kirche, aber hier müsst ihr es. Weil es so in der Bibel steht, weil Gott hier war, weil er hier seinen Namen offenbart hat.

Wir blieben skeptisch. Aber die Inbrunst des Mönches beeindruckte uns. Und ich nahm ein Blättchen vom diesem Dornbusch mit. Man kann ja nie wissen.

Die Führung war beendet, wir wurden nach außen vor die Mauern geleitet, müde und ein wenig durcheinander. „Morgen müssen wir weiter, aber wenn wir schon einmal hier sind, gebe ich Ihnen den Tipp: steigen Sie auf den Moseberg. Wissen Sie, da empfing Mose die 10 Gebote. Hier, hinter dem Kloster beginnt der Aufstieg.“

Unsinn, das kann doch niemand sagen, niemand beweisen, wo Mose die 10 Gebote empfangen hat! Aber wir waren jung und suchten die sportliche Herausforderung. Also hinauf auf den Berg in der späten Nachmittagssonne. Ja, sportlich war das, von 1400 m auf 2300 m aufsteigen. Aber phantastisch. Ein Treppenweg, über 4000 Stufen, vor Jahrhunderten angelegt durch Geröll und Fels, buntem Fels. Die immer tiefer scheinende Sonne ließ die Farben aufleuchten, die Schatten bildeten schroffe Grate. Und dann waren wir oben, eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang.

Es war überwältigend. Unten sah man ganz klein noch das Kloster liegen, aber rundum eine phantastische Aussicht auf das Sinaigebirge – Berg an Berg, Fels an Fels so weit das Auge reichte. Immer länger wurden die Schatten, immer leuchtender die Farben in der untergehenden Sonne.

Und wir wurden still – sehr still. Und wir begriffen: das ist mit dem Verstand nicht zu fassen. Das geht nicht in den Kopf, das erreicht eine ganze andere Dimension. Und die ist genauso wahr, wie alles rationale Denken. Ja, hier ist der Ort, an dem der Himmel der Erde berührt, hier ist der Ort, an dem Menschen sich Gott ganz nah fühlen, hier der Ort, an dem sich Gott herunterbeugt und den Menschen schenkt, womit sie leben können: seine Weisungen, seine Gebote.

Und unten im Kloster – da steht der Dornbusch, der brannte und doch nicht verbrannte, aus dem Gott zu Mose sprach und seinen Namen offenbarte. Ja, das muss er sein.

Wir blieben oben sitzen – still, jeder in seine Gedanken versunken. Das Licht der untergehenden Sonne wurde Orange, Rot, Braun, und schließlich zog auf der gegenüberliegende Seite tiefblau die Nacht auf, und der silberne Vollmond leuchtete uns den Rückweg aus.

Seitdem weiß ich: es gibt Orte, die Menschen vereinen in einem Gespür für das Heilige. Es gibt Heilige Orte. Es gibt das Heilige Land. Es gibt Orte, die Menschen aufschließen für eine andere, tiefere, höhere Wahrheit. Es gibt Orte, die die Menschen so tief beeindrucken, dass sie sie verbinden mit tief beeindruckenden Texten, mit heiligen Texten.

Was da im 2. Buch Mose steht, ist ein heiliger Text, vielleicht der wichtigste, der in der Bibel steht. Und die Orte da auf dem Sinai können nur die heilige Orte sein, von denen dieser heilige Text erzählt.

Zum ersten Mal in der Bibel sagt Gott, wer er ist. Und er sagt nicht nur wer er ist, er sagt auch, wie er ist, was er vorhat, wie er den Menschen begegnet. Er sagt dem Mose seinen Namen. Darin ist alles enthalten.

Sein Name ist: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Oder anders übersetzt: „Ich bin, der ich bin.“ „Ich bin, der ich sein werde.“ Oder „Ich werde sein, der ich bin.“ Oder „Ich bin der dabei Seiende.“

Das ist das Entscheidende: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs sagt jetzt: Ich bin mit dir, ich war mit mir, ich werde mit dir sein. Es berührt mich, was du tust. Es bewegt mich, was du erleidest. Ich bin an deiner Seite und gehe mit dir, durch dein Leben, durch die Wüste von Ägypten ins Gelobte Land, durch alle Zeiten.

Es ist kein Ort, an den ich mich binde, kein Stein, kein Baum, kein Haus. Es ist keine Person, an die ich mich binde: nicht Abraham, Isaak und Jakob. Es ist die Zeit. Ich gehe mit dir durch die Zeit. „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Das ist mein Name.

Das ist Gottes Programm für die Menschen. Vom Anfang der Bibel bis zu ihrem Ende. Gott mit uns.

Wir lesen es in Psalm 23: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich keine Unglück, denn du bist bei mir.“

Wir lesen es bei Jesaja als Ankündigung und bei Matthäus als Ereignis in Bethlehem: Die Geburt des Immanuel, das heißt zu deutsch: Gott mit uns.

So verspricht es uns der auferstandene Christus am Ende des Evangeliums: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

So sagt es Gott der Herr im letzten Buch der Bibel. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich bin bei euch. Amen.

Pfr. Martin Anefeld

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